Das Problem mit Pränataltests
Ab Frühjahr 2022 soll nun also der sog. Nicht-invasive Pränataltest auf Trisomien (NIPT) beim ungeborenen Kind eine Kassenleistung werden und kann somit kostenlos von allen werdenden Müttern in Anspruch genommen werden. Ein unkomplizierter Test, bei dem das Blut der Mutter untersucht wird um festzustellen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Baby mit einer Trisomie (von der es verschiedene Varianten gibt) auf die Welt kommen wird. Fällt das Ergebnis positiv aus, dann können die Schwangeren einen Schwangerschaftsabbruch anstreben oder weitere Untersuchungen durchführen lassen um Sicherheit zu erlangen. Fakt ist: Das Testergebnis zeigt lediglich eine Wahrscheinlichkeit an – keine Gewissheit. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist gerade bei jungen Frauen durchschnittlich eins von drei Testergebnissen falsch-positiv. Es kann im schlimmsten Fall sein, dass die Eltern die Entscheidung treffen (oder dahingehend beraten werden) einen gesunden Embryo zu töten, ohne zunächst weiterführende Untersuchungen durchzuführen – um es in aller Härte zu sagen.
Was unser Gesundheitssystem den Schwangeren versucht als „zusätzliche Absicherung“ (die im Einzelfall, bei medizinischer Indikation und reiflicher Überlegung sicherlich durchaus notwendig sein kann) zu verkaufen ist doch eher ein Signal für: wir befürworten (gesellschaftliche) Selektion. Inklusion und gesellschaftliche Diversität? Ist ein schwieriges, kostspieliges Thema – da übernehmen wir doch lieber den Bluttest, dass ist weniger aufwändig.
Unsere Gesellschaft braucht Diversität
Dieses Signal, während wir im gleichen Monat (am 21. März) auch den Welttag des Down-Syndroms gefeiert haben, ist in meinen Augen ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich ganz bewusst für ein Kind mit Behinderung entschieden haben, oder diejenigen die davon überrascht worden sind. Mittlerweile werden in Deutschland bereits 9 von 10 Kinder, bei denen die Diagnose Trisomie 21 vor der Geburt feststeht, abgetrieben. Die Kinder mit Down-Syndrom, denen wir in unserem Alltag begegnen, sind also „nur“ die 1 von 10, deren Eltern sich ganz bewusst dafür entschieden haben, oder die, deren Eltern auf jegliche Tests verzichtet haben. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Kinder mit angeborenen, genetisch bedingten Behinderungen oder schwerwiegenden Fehlbildungen immer seltener zur Welt kommen, weil diese Schwangerschaften immer häufiger vorzeitig beendet werden. Angst vor einer allzu ungewissen Zukunft, düstere Prognosen, Angst vor Stigmatisierung, Benachteiligung oder finanziellen Notlagen, Schock und große psychische Belastung für die werdenden Eltern sind oft die Gründe, die schließlich dazu führen, dass ein Schwangerschaftsabbruch herbeigeführt wird.
Mehr Unterstützung für Eltern
Wie kann es sein, dass es gesellschaftlicher Konsens ist, dass Mütter eher abtreiben, als den Mut zu fassen ein Kind zu bekommen - ohne zu wissen, ob es eine Behinderung haben wird? Mütter und Väter sollten in meinen Augen so viel bedingungslose und niedrigschwellige Unterstützung erfahren (staatlich, gesellschaftlich, finanziell) wie sie brauchen, um sich immer für ein Kind entscheiden zu können, wenn dieses gewünscht ist. Nur so können wir eine gesellschaftliche Diversität erreichen, in der wir jedes Kind als das Überraschungspaket annehmen können das es ist, in der jeder seine Nische finden kann und in der wir wegkommen von Ausgrenzung oder Stigmatisierung von Minderheiten, hin zu einer Vielfalt die für alle eine Bereicherung darstellen könnte. Menschen sind nunmal verschieden, und wer kann sich anmaßen darüber zu urteilen, ob ein (noch ungeborenes) Leben weniger lebenswert sein wird als ein anderes?
Ich würde mir wünschen, dass Mütter und Väter nicht durch die bloße Möglichkeit eines als Kassenleistung angebotenen Bluttests, verunsichert werden, sondern schon vor der Geburt vielmehr Unterstützung und Aufklärung erfahren als das bislang in dieser Hinsicht der Fall ist. Sicherlich ist es eine große psychische Belastung, wissentlich ein (lebensverkürzend) erkranktes oder behindertes Kind auszutragen und in ständiger Sorge um seine Gesundheit und Entwicklung zu sein – aber ist es nicht unsere soziale, gesellschaftliche Verantwortung alle Eltern (wo wir nur können) zu ermutigen und zu bestärken, dass sie ein gutes Leben mit ihren Kindern führen können?
Empfehlung zu dem Thema
Zum Mut-machen, zum Thema Inklusion und um mal einen kleinen Blick über den Tellerrand zu wagen mag ich an dieser Stelle die folgenden Accounts empfehlen:
Und zu guter letzt ist @raulkrauthausen immer eine gute Wahl um den eigenen Horizont etwas zu erweitern.